In der Nacht auf den 11. September 2024 stürzte ein rund 100 Meter langer Abschnitt der Carolabrücke in Dresden in die Elbe. Die Ursache: Risse an der stählernen Spannstruktur der Brücke. Der Schuldige: Wasserstoff. Die Carolabrücke ist längst nicht das erste Bauwerk, dem Wasserstoff zusetzt. Weitere bekannte Beispiele sind der Londoner Wolkenkratzer «122 Leadenhall Street», im Volksmund als «Cheesegrater» bekannt, sowie der Teilneubau der Bay Bridge in San Francisco, bei denen das Versagen der Stahlbolzen Sanierungskosten in Millionenhöhe zur Folge hatte.
Der Prozess heisst Wasserstoffversprödung. Bestimmte Korrosionsprozesse in Anwesenheit von Wasser setzen an der Oberfläche von Stahlbauteilen atomaren Wasserstoff frei – das kleinste Element des Periodensystems. Dank seiner geringen Grösse diffundiert der Wasserstoff in den Stahl, wo er durch verschiedene Mechanismen Rissbildung begünstigt.
Dass Wasserstoff Metalle angreift, ist bereits seit dem 19. Jahrhundert bekannt. Vollständig verstanden sind die komplexen Mechanismen hinter der Wasserstoffversprödung allerdings bis heute nicht – trotz zahlreicher Studien. Empa-Forschende aus dem Labor für Fügetechnologie und Korrosion untersuchen nun eine Seite der Wasserstoffversprödung, der bisher sehr wenig Aufmerksamkeit zuteil kam: die Interaktion des Wasserstoffs mit der sogenannten native Oxidschicht auf Stahl.
Native Oxidschicht
Die native Oxidschicht, auch Passivierungsschicht genannt, ist eine dünne Schicht, die sich auf natürliche Weise an der Oberfläche der meisten Metalle und Legierungen bildet. Sie verleiht rostfreien Stählen ihre Korrosionsbeständigkeit. Die Art und die Zusammensetzung der nur wenige Nanometer dicken Schicht unterscheiden sich von Stahl zu Stahl. Gewisse Oxide sind deutlich stabiler und resistenter gegenüber Wasserstoff als andere. Sie schützen den Stahl besser vor Versprödung.
Dies wollen die Empa-Forscherinnen Chiara Menegus und Claudia Cancellieri untersuchen. Ein besonderes Augenmerk legen sie dabei auf die Grenzfläche zwischen dem Metall und seiner Oxidschicht. «Wasserstoff sammelt sich im Material jeweils dort an, wo Unordnung herrscht», erklärt Doktorandin Menegus. «Die Grenzfläche zwischen dem Metall und dem Oxid ist eine solche Stelle.»