«Nicht einmal der kleinste Fehler wird dir verziehen. Du musst in dieser hochalpinen Umgebung innert kürzester Zeit alles wahrnehmen und blitzschnell reagieren. Dieser Rettungsdienst ist deshalb vom Level her mit der Formel 1 im Rennsport oder der Nationalmannschaft beim Skifahren zu vergleichen», sagt Michael Kuster, Rettungssanitäter und ehemaliger Polizist, zur einzigartigen, aber sehr herausfordernden Arbeit bei der Air Zermatt. Doch wie landete er überhaupt bei dieser vielleicht weltweit einzigartigen Bergrettungs-Elite?
Vom Bauzeichner zum Bergretter
Zum Ende der Schulzeit habe er das Bauwesen ins Auge gefasst und deshalb eine vierjährige Ausbildung zum Bauzeichner absolviert. Nach dem Militärdienst nahm Michael Kuster zudem eine Zusatzlehre als Zimmermann in Angriff. Das angepeilte Ziel hiess Holzbauingenieur. Es kam aber alles anders. Daran schuld war ein Skiunfall.
Seit klein auf steht der Schaffhauser auf den Brettern. Und eines Tages passierte es. Die kaputte Schulter legte ihn ein Jahr lahm. «Der Arzt bot mir zwar eine Operation an, glaubte dennoch nicht daran, dass ich jemals wieder als Zimmermann arbeiten könnte.» Um den Kopf freizukriegen und nach einem neuen beruflichen Weg zu suchen, ging er eine Saison nach Flims. Da war er in einem Sportgeschäft sowie in der Skischule tätig und versuchte, das Leben ein wenig zu geniessen.
Eigentlich habe er bereits zu dieser Zeit mit dem Rettungsdienst geliebäugelt. Das Berufsbild sei noch nicht so klar definiert und zudem sehr neu gewesen. «In einem Bericht las ich, dass die Polizei Leute sucht. Darauf habe ich mich gleich beworben», erinnert sich Kuster. Er wurde dann in die Polizeischule aufgenommen und arbeitete rund acht Jahre, bis Anfang 2008, bei der Schaffhauser Polizei.
Da sei ihm der Unterschied zwischen einer Miliz, wie der Freiwilligen-Feuerwehr, bei welcher er selbst zwölf Jahre war, und einer Berufsorganisation, wie der Polizei, erst recht bewusst geworden. Nicht nur, dass es bei der Polizei viel mehr Übungen gab, sondern diese auch viel intensiver und vielschichtiger waren.
Aus der Zeit habe er schöne und weniger schöne Erinnerungen. «Die Bilder eines toten Kindes, welches wir aus dem Bach gezogen haben, oder der erste Einsatz bei einem Verkehrsunfall, mit einer verstorbenen Person, bleiben fest im Gedächtnis verankert», sagt Michael Kuster nachdenklich im Gespräch mit dem «Bock». Auch habe es einmal eine Situation gegeben, in der er auf eine sichtbare Pistole mit dem Ziehen seiner Dienstwaffe reagieren musste. «In mir kam ein Gefühl hoch, welches sagte, dass es bald knallt.» Zum Glück sei es nicht dazu gekommen.
Am Anfang habe sich manches wie eine Überforderung angefühlt. Er habe sich zuerst eine Strategie zur Bewältigung all dieser Erlebnisse zurechtlegen müssen. Es sei zudem berechtigt, dass die Trainingseinheiten ans Militär angelehnt sind. Nur wenn mit realistischen Szenarien geprobt wird, könne man im Ernstfall professionell vorgehen. «Oft geht alles so schnell zu und her, dass keine Zeit zum Nachdenken bleibt. Du musst intuitiv handeln.»
Aus privaten wie auch beruflichen Gründen entschied er sich die Arbeit bei der Polizei zu beenden und den Rettungsdienst nochmals ins Spiel zu bringen: «Ich habe überall hin Blindbewerbungen geschickt. Wer hätte gedacht, dass gerade die Air Zermatt einen Unterländer wie mich aufnimmt.»
Eigenes Leben stets auf dem Spiel
«Von der Piste aus konnte ich bei guten Schneeverhältnissen direkt auf meinen Balkon fahren», sagt Michael lächelnd. Regelmässig habe er Besuch von Freunden erhalten. Während der Hochsaison ist die Air Zermatt aber noch mehr im Einsatz. Deshalb sei es ihm nicht möglich gewesen, sie zu jeder Feier zu begleiten. Dies wiederum sei nicht immer auf Verständnis gestossen. Jeder Einsatz verlangt aber einen klaren und frisch ausgeruhten Kopf.
Es sei für ihn von Vorteil gewesen, dass er bereits Einsatzerfahrung vorweisen konnte. Das Training bei der Air Zermatt habe direkt im Helikopter begonnen. Dieses Umfeld sei so ganz anders als in einem Krankenwagen. Es müssen laufend die unterschiedlichsten Dinge im Auge behalten werden. Trotz eines Notarztes an Bord, habe er zudem von Beginn an einiges selber anpacken müssen. Das brachte ihn an seine Grenzen. «Du kannst am Anfang noch nicht jede Situation auf den Punkt genau einschätzen, was dich logischerweise überfordert», hält Kuster fest. In den zehn Jahren seines Einsatzes habe er wahrscheinlich alles gesehen und erlebt – im positiven und negativen Sinn. Es sei eine einmalige Zeit gewesen, in der er sich dennoch hin und wieder eine wichtige Frage stellte: «Weshalb führe ich diese vielen lebensgefährlichen Einsätze aus und bin ich weiterhin dazu bereit?»